Bibliothek

Der Sohn des Kummers

von Louis de Lioncourt



Es war bereits das 4. Jahr auf Schloss Hogwarts, das nun zu Ende ging. Die Prüfungen waren geschrieben und nun hatten die Sommerferien begonnen. Diesmal hatte mich Vater persönlich abgeholt. Es war das erste Mal in meiner gesamten Schulzeit. Er stand einfach so und ohne Ankündigung im Slytherinraum. Wortlos hatte er mir dabei zugesehen, wie ich meine Sachen packte. Ebenso wortlos stiegen wir in eine Kutsche und fuhren nach Hause, auf unseren Landsitz in Wiltshire.

Wir wohnten dort in einem großen, alten Gebäude. Von außen sah es sehr gepflegt aus und es wurde dafür gesorgt, dass die Gärten immer in den prächtigsten Farben erschienen. Doch innen war es ungemütlich und kalt. Wir bewohnten nur einen kleinen Teil und die übrigen Zimmer und Flure vegetierten so vor sch hin. Die einzelnen Räume waren durch ein verschachteltes Gangsystem miteinander verbunden. Ein Fremder würde sich hier wohl nach einiger Zeit hoffnungslos verlaufen. Doch ich kannte jeden Gang, jeden einzelnen Raum - das dachte ich zumindest. Als Kind war ich oft alleine, da Vater immer mit seinen Geschäften beschäftigt war und Mutter ihren eigenen Hobbies nachging.
Nun saß ich in einem dieser Räume. Weit weg von den Gemächern meiner Eltern. Eines Tages wollte ich einfach alleine sein, mich von meinen Eltern abschotten. Auf der Suche nach einem geeigneten Ort fand ich mich hier wieder. Der Raum schien einmal eine, mit Büchern, Plänen und Landkarten gefüllte Bibliothek gewesen zu sein. Doch nun war der Raum voller Spinnweben, Zentimeter dicker Staubschichten und selbst einige Mäuse liefen von einer Ecke zur nächsten. Sogar für meine Verhältnisse hat es ziemlich lange gedauert, bis ich meinen Vater überreden konnte. Mit seiner Hilfe habe ich den Raum hergerichtet. Die uralten, halb zerfallenen Karten und Bücher, die ich hier gefunden hatte, ließ ich an ihrem Platz. Trotz der Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten, war es recht düster, aber genauso gefiel es mir. Und anstatt der Mäuse lief nun meine Ratte Tequilla herum.

Ich war eigentlich nicht so ein Tierfreund, hatte mir Tequilla nur angeschafft, um meinen Vater zu ärgern, dem seine Arbeit mal wieder wichtiger war, als sein Sohn. Aber mittlerweile mochte ich dieses kleine Vieh richtig gerne. Alleine schon aus dem Grund, dass er so gut wie mein einziger Freund auf Hogwarts war. Ja klar, Crabbe und Goyle liefen mir ständig hinterher und auch die anderen Leute aus Slytherin waren wohl nur an meiner Seite, weil unsere Familie in Geld schwamm und Vater zu so ziemlich allen wichtigen Leuten Kontakte hatte. Und da mir nichts anderes übrig blieb, habe ich mich auch mit ihnen abgegeben. Was würde Vater wohl dazu sagen, wenn ich mich mit Leuten aus Gryffindor anfreunden würde? Leuten wie... Harry Potter. Seit bereits 4 Jahren waren wir nun verfeindet, sozusagen. Eigentlich hatte ich ja nichts gegen ihn. Es waren nur seine Freunde; Diese Granger, ein besserwisserisches Gör und dazu noch eine Muggelgeborene. Und dann noch Ronald Weasley, wie alle anderen in der Familie bettelarm, aber dafür ne riesen Klappe.

Aber vielleicht war es eben das, was Potter so stark machte. Ron und Granger waren sicher bessere Freunde, als die Leute hinter mir. Vielleicht sollte ich mir auch neue Freunde suchen...

Nun saß ich schon seit einer halben Ewigkeit auf meinem alten, verschlissenen Ledersofa und dachte immer wieder an Harry. Lächerlich. Mit Sicherheit würde er keinen einzigen Gedanken an mich verschwenden. Irgendwie ... vermisste ich ihn gerade.
Seufzend schüttelte ich den Kopf und stand auf. Es war zwar noch nicht besonders spät, aber irgendwie wurde ich gerade depressiv, und da war es besser, schlafen zu gehen. Ich nahm mir ernsthaft vor, nach den Ferien besser mit Harry klarzukommen.
Plötzlich klopfte es an der Tür, langsam und leise. Ich war gerade dabei, mir das Shirt auszuziehen, hielt kurz inne, und zog es dann endgültig aus. Nur mit einer Hose bekleidet, bat ich herein. Vater betrat den Raum.
Er trug ein schwarzes, seidenes Gewand und sein hellblondes, fast silbernes Haar fiel ihm sanft über die Schultern. Er sah anders aus. Nicht so abweisend, wie er immer erschien, wenn Fremde dabei waren. Wenn ich mir das richtig überlegte, gab er sich eigentlich nur bei mir so. Vater musterte mich still. Seine Augen wanderten an mir herab. Er wand sich ab, schritt an mir vorbei und trat vor das Fenster. Da er nach einigen Augenblicken noch immer nichts sagte, nur stumm in die Ferne starrte, fuhr ich fort und zog mich weiter um.
"Schön, dass du wieder Daheim bist."
Es war nur ein Flüstern und Vater gab sich die größte Mühe, so gefühlskalt wie immer zu wirken, aber für einen winzigen Moment glaubte ich, ein Lächeln über sein Gesicht huschen zu sehn.
"Draco, ich... ich muss mit dir reden."
Endlich hatte er sich zu mir umgedreht. Auf eine besondere Art und Weise sah er traurig aus.
"Ich wollte mit dir über deine... Zukunft reden", er konnte die Worte kaum heraus bringen.
"Wir haben noch ganze sechs Wochen, in denen wir reden können", lächelte ich ihm entgegen. Doch entgegen meiner Erwartung entspannte sich sein Blick nicht. Er nahm eines der alten Bücher vom Tisch, drehte es, blätterte geistesabwesend durch, bevor er es wieder an denselben Platz zurücklegte.
"Deine Mutter und ich... Wir haben uns überlegt, dass du mittlerweile bereit für eine Vermählung bist."
"Was???" Ich konnte noch gar nicht richtig begreifen, was Vater zu mir gesagt hatte.
"Ich bin gerade mal 16!", protestierte ich.
Er schlug mit der Faust auf den Tisch. "Draco! Es ist für uns alle nicht einfach! Es ist nun mal beschlossene Sache."
Seine Haare fielen ihm ins Gesicht. Mit wehenden Gewändern schritt er zur Tür.
"Schlaf gut." Ohne noch einmal zurück zu schauen ließ er mich alleine.
Seine Worte hallten in meinen Gedanken wieder. Ich sollte heiraten? Irgendeine mir vollkommen unbekannte Frau?? Ja klar, ich war der einzige Sohn der Malfoys, aber ich war doch erst 16! Das konnte doch auch warten! Vaters trauriges Gesicht kam mir in den Sinn. Vielleicht sollte ich einfach noch mal in Ruhe mit ihm reden?! Und wenn sich nichts machen ließ... Dann würd ich wohl wieder den Rebell in mir herauslassen. Was Vater wohl sagen würde, wenn ich ihm mit meinem 'Ausstieg' aus der Familie drohen würde?
Ich lag noch einige Zeit wach. Mir schwirrten so viele Dinge, Gedanken durch den Kopf, dass ich gar nicht einschlafen konnte.

Gewöhnt an meinen alten Tagesrhythmus war ich bereits früh am Morgen wach. Ich stand auf, zog mich an und suchte nach Tequilla. Der kleine Racker hatte sich in meiner noch gepackten Tasche eingenistet. Scheinbar wollte er wieder zurück nach Hogwarts.
Mit Tequilla auf der Schulter ging ich zu den Gemächern meiner Eltern. Für das Frühstück war es noch zu früh.
Mutter stolperte aus ihrem Zimmer, während sie im Gehen versuchte, ihren zweiten Schuh anzuziehen. Sie küsste mich flüchtig auf die Stirn.
"Machs gut, Schatz!"
Fragend blickte ich ihr nach, während sie sich ihren schweren Pelzmantel über die Schulter warf.
"Wohin gehst du denn?"
Sie wich meinem Blick aus, und richtete ihren Mantel erneut.
"Ich... ich werde für ein paar Tage weggehen..." Stumm sah ich ihr hinterher. Die Tür wurde geschlossen. Es war still.

Langsam wurde Tequilla unruhig und knabberte an meinem Ohr. Im Salon gab ich ihm ein paar Kräcker und ließ ihn selig knabbernd zurück. Ich war auf der Suche nach Vater, doch er war nicht aufzufinden. Die Tür zu seinen Gemächern war zu meiner Verwunderung nicht versperrt und so trat ich ein. Das große Zimmer war düster, da die dicken schwarzen Vorhänge das Sonnenlicht aussperrten. Ich bemerkte ein merkwürdiges Schimmern, das von der hintersten ecke des Zimmers ausging. Auf der Kommode stand eine Schüssel aus Stein mit einer silbernen Flüssigkeit darin. Vorsichtig trat ich näher. Wir hatten einige skurrile und seltsame Gegenstände im Haus, aber so etwas hatte ich bei Vater noch nie gesehen. In der Flüssigkeit erkannte ich unser Haus, dann einen Gang, durch den jemand lief. Neugierig beugte ich mich über die Schüssel, um weiter hineinsehen zu können, als plötzlich alles um mich herum schaukelte. Reflexartig kniff ich die Augen zusammen. Ein Gefühl, als ob man fallen würde. Als ich die Augen wieder öffnete, fand ich mich in einem der alten und verlassenen Gänge wieder. Nur war er plötzlich alles andere als alt und vermodert. An den Wänden hingen Gemälde von mir unbekannten Menschen und der Boden war mit einem purpurnen Teppich belegt.

"Lucius!!" Aus einem der Räume weiter hinten drang eine tiefe, raue Männerstimme. Blitzschnell drehte ich mich um, als hinter mir ein Junge auf dem Gang auftauchte. Er lief an mir vorbei, ohne mich überhaupt zu bemerken. Seine silbernen, Schulterlangen Haare fielen ihm zwar ins Gesicht, doch ich hatte sofort meinen Vater in ihm erkannt. Aber wie konnte das sein?? Träumte ich, oder war ich etwa in der Zeit zurückgereist, oder etwas ähnliches? Aber warum hatte er mich denn gar nicht gesehen? War das etwa doch so etwas wie ein Traum?
Ich schlich ihm hinterher und lugte vorsichtig in den Raum hinein. Vater stand vor einem riesigen Himmelbett. Darin saß ein Mann mit langen, weißen Haaren und einem ebenso langem Bart. Irgendwie fühlte ich mich mit ihm verbunden, aber andererseits war er mir vollkommen unsympathisch.
"Hast du dir mein Angebot überlegt?", raunte er. Der Junge sank zu Boden und verdeckte sein Gesicht mit den Händen.
"Vater, bitte gib mir noch etwas Zeit!" Weinte er etwa?
"Du hattest mehr als genug Zeit, Lucius!" Ein schlimmer Husten unterbrach ihn beim Reden. "Mit mir geht es zu Ende... Vor meinem Tod will ich sicher sein, dass du einen Erben in unser Haus bringst. Du wirst nicht um eine Frau herumkommen, also warum warten?"
Lucius sprang auf und ging näher an das Bett heran.
"Aber Vater! Ich bin doch gerade erst 16!"
Der Alte drehte ihm den Rücken zu.
"Stell dich nicht so an! Narzissa stammt aus einer reichen, angesehenen Familie. Nur so kann ich den Fortbestand unserer Familie sichern. Und jetzt geh mir aus den Augen!" Grelles Licht umfing mich. Im nächsten Moment fand ich mich in einem anderen Raum wieder. Es war meine Bibliothek! Die Wände standen voll mit Bücherregalen und auf einer Couch in der Mitte des Raumes saß der junge Lucius. Neben ihm ein Mädchen mit langen blonden Haaren und blauen Augen. Unverkennbar meine Mutter. Sie schwiegen sich an, gucken stur zur Seite.
Wieder dieses grelle Licht.
Vater saß in seinem großen Ledersessel. In den Armen hielt er ein in Seide gewickeltes etwas. Still und nachdenklich blickte er darauf hinunter, flüsterte dann jedoch lächelnd einen Namen. Schlagartig wurde mir klar, dass ICH es sein musste, den er in den Armen hielt. Mutter kam herein. Sie trug einen schweren Pelzmantel. Wortlos ging sie durch den Raum zur Eingangstür und hatte diese auch schon geöffnet, als Vater sie zurückhielt.
"Wohin willst du?" Es klang nicht kalt oder wütend, eher traurig. Mutter rückte den Mantel zurecht.
"Ich... Ich bin verabredet"
Sie schloss die Tür hinter sich.
Vater umarmte das Kind - mich - fester. Er beugte sich so weit darüber, dass seine silbernen Haare sein Gesicht verdeckten. Ich bemerkte sein Zittern, vernahm ein Schluchzen.
"DRACO!!!"
Da war wieder dieses helle Licht, das Gefühl zu fallen und plötzlich befand ich mich wieder in Vaters Gemach. Und er stand vor mir, so wie ich ihn kannte. "Was hast du getan?" Sein Gesicht verdunkelte sich zusehends. Er ballte die Fäuste und starrte mich wütend an.
"Ich... es war keine Absicht, ehrlich!" Die wenigen Meter zwischen uns überschritt er blitzschnell und im nächsten Augenblick spürte ich, wie er mir eine heftige Ohrfeige verpasste. Ich stolperte nach hinten und prallte unsanft gegen die Tischkante. Vater stand vor mir, die rechte Hand erhoben.
Er zitterte.

Keine 5 Minuten später hatte ich Tequilla und meinen Zauberstab geholt und war bereits dabei, das Gut zu verlassen. Zwar hatte ich bloß meine Alltagsklamotten aus Hogwarts an - eine Jeans, ein schwarzes Hemd und drüber eine dünne Jacke - doch das war mir momentan egal. Ich wollte nur noch weg. Hatte ich Vater wirklich so sehr verärgert, nur weil ich in das komische Ding geschaut habe?
Es war schon öfters vorgekommen, dass er wegen mir so sauer wurde, aber geschlagen hatte er mich bisher noch nie. Und aus irgendeinem Grund war ich ihm auch gar nicht böse deswegen. Warum ich dann von zu Hause weglief?
Nun ja, Vater würde gerade in diesem Augenblick toben vor Wut. Er würde sich eine angemessene Strafe für mich überlegen, vielleicht ein oder zwei der verbotenen Flüche vor sich hinmurmeln. Er würde ruhelos durch das gesamte Haus tigern, sich mitten in mein Zimmer stellen und der erdrückenden Stille lauschen. Er würde Schuldgefühle bekommen, sich Sorgen machen.
So war er eben. Nicht für 1000 Galleonen würde er es zugeben, aber er sorgte sich um mich. Das wäre Strafe genug für ihn.

Mit Tequilla auf der Schulter ging ich nun schon seit etwa einer Stunde. Mein sonst so genialer Plan hatte bloß einen Fehler:
Ich hatte gar nicht daran gedacht, wie ich von hier weg kommen sollte. Nach einiger Zeit traf ich auf eine große Straße der Muggel. Ich folgte dem Straßenverlauf und beobachtete die vorbeifahrenden Autos (so nennen die Muggel sie doch, oder?). Auf einmal hielt eines dieser Dinger direkt neben mir.
"He, Kleiner, willste mit?"
Unverkennbar ein Muggel. Seine pinken Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab und die schäbigen, heruntergekommenen Klamotten wurden an einigen stellen mit Sicherheitsnadeln zusammengehalten und sahen aus, als wären sie aus der hintersten Mülltonne gefischt.
Grinsend stellte ich mir das Gesicht meiner Mutter vor, wenn ich so zu Hause ankommen würde. Ob Muggel - oder nicht, der Typ war mir sofort sympathisch, und kurz darauf saß ich im Wagen.
"Wohin willst denn?" Stille.
Ja, wohin wollte ich überhaupt? Zu Crabbe oder Goyle konnte ich nicht, da würde Vater als aller erstes nachschauen, genauso wie bei den anderen Leuten aus Slytherin. Nach Hogwarts konnte und wollte ich nicht. Da blieb mir nicht viel zur Auswahl.
"Nach London"
Er guckte mich etwas verdutzt an.
"Und wenn ich dich nicht mitgenommen hätte, wärst zu Fuß dahin??"
Ich zuckte bloß mit den Schultern. Ich würde mir aus meinem Verlies in Gringotts ein wenig Geld holen, den Schlüssel trug ich immer bei mir. Irgendwo in der Winkelgasse würde ich mir ein Zimmer suchen. Dort würde ich dann darauf warten, dass mein Vater - verrückt vor Sorge - mich finden würde.
"Bist von Zuhause abgehaun?", fragte mein Fahrer, ohne mich anzuschauen.
"Wieso?" Nun drehte er sich doch zu mir um.
"Du erinnerst mich daran, wie ich selbst einmal war."
Wir unterhielten uns die ganze Fahrt über. Obwohl er eigentlich nicht so weit fahren musste, brachte er mich doch genau dort hin, wo ich hin wollte - zur Charing Cross Road. Nachdem er mir auch noch einen Zettel in die Hand gedrückt hatte, wo seine "Telefonnummer" draufstand (was auch immer das war) stieg ich aus und betrat den Pub "zum Tropfenden Kessel". Da es mir da entschieden zu voll war, beeilte ich mich und kam auf den Hinterhof. Dann noch durch die Steinmauer und schon war ich in der Winkelgasse. In Gringotts - der Zaubererbank - angekommen, krallte ich mir einen freien Kobold und ließ mich zu meinem Verlies bringen. Wie nicht anders erwartet, häufte sich dort das Geld. Ich steckte einige Galleonen und Sickel ein und verschwand wieder. Kaum dass ich aus dem Gebäude getreten war, meldete sich knurrend mein Magen. Es war bereits nach Mittag und ich hatte noch gar nichts gegessen - also los und erst mal was essen.
Da ich jedoch keine Lust hatte, besonders weit zu laufen, setzte ich mich in Florean Fortescue's Eissalon und ließ mir und Tequilla das beste Eis des Hauses schmecken. Es wurde langsam Abend und ich sollte mich auf die Suche nach einem Zimmer oder aber einem Weg nach Hause machen. Ich schlenderte die Straße entlang Richtung Tropfender Kessel. Nein, nach hause wollte ich noch nicht. Vater sollte ruhig noch ein wenig leiden.
Ich betrat den Pub und musste gleich entsetzt feststellen, dass es noch voller war als heute Mittag. Wo man auch hinschaute, überall standen und saßen aufgeregt miteinander quasselnde Hexen und Zauberer. Ich kämpfte mich durch die Menschenmassen bis an den Tresen.
Auf meine Frage nach einem freien Zimmer lachte der Wirt laut auf.
"Hast du dich hier schon einmal umgesehen, Junge? Ich habe seit Monaten kein freies Zimmer für den heutigen Tag!"
"Wieso das denn??"
"Das weißt du nicht? Das bulgarische Quidditsch-Team gibt hier gleich eine Autogrammstunde! Das ist DAS Ereignis!"
"Na toll, und was mach ich jetzt?!", nuschelte ich eher zu mir selbst.
"Ich könnt dir ja ein Taxi rufen, oder etwas Flohpulver verkaufen, je nach dem, wohin du willst."
Ohne ihm eine Antwort zu geben, verließ ich den Pub und setzte mich davor auf eine Bank. Erschöpft und genervt schloss ich die Augen und lehnte mich zurück. Wegen diesem blöden Quidditsch-Team hatte ich jetzt keinen Platz zum Schlafen. Bei dem Gedanken an Quidditsch kam mir gleich ein bekanntes Gesicht in den Sinn - Potter! Ich sprang auf und ging einige Schritte. Es war verrückt, aber sollte ich es vielleicht wirklich tun? Das wäre wohl der letzte Ort, an dem Vater mich suchen würde. Und ganz nebenbei konnte ich meinen Vorsatz - mir neue Freunde zu suchen - in die Tat umsetzen. Nur wie sollte ich da hinkommen, so ganz ohne Adresse und Flohpulver? Ratlos schritt ich am Straßenrand entlang. Rechts von mir hielt ein riesiger, 3stöckiger Bus.
Eine Gruppe stieg aus und kam auf mich zu. Zwischen den Leuten erkannte ich ein mir bekanntes Gesicht - Viktor Krum!!! Während der Vorbereitungen für das Trimagische Turnier saß er mit den anderen Schülern aus Durmstrang am Slytherin Tisch und wir haben uns angefreundet - mehr oder weniger.
Der Sucher der bulgarischen Mannschaft hatte mich ebenfalls gesehen und löste sich von der Gruppe, die weiter Richtung Pub trotteten.
"He, Draco!"
"Hi"
"Du hier?"
Ich nickte. "Wollte ein bisschen von Zuhause weg..."
"Wo willst denn hin? Kommst mit mir?"
"Ne, mir ist es da zu voll", ich überlegte kurz, dann, "hmm... du kennst nicht zufällig die Adresse von Potter?" Viktor sah mich ungläubig an.
"Nein, das nicht, aber wenn du hinfahrn willst, frag Busfahrer. Weiß alles"
Er warf einen schnellen Blick zu seinen Kollegen.
"Gut, muss los. Wir sehn uns!"
Nickend verabschiedete ich mich von ihm und ging zu dem purpurnen Bus, auf dem in goldenen Lettern 'Der Fahrende Ritter' stand. Ein kaugummikauender junger Mann saß auf der Treppe. Als er mich sah, sprang er auf und verkündete mit lauter Stimme:
"Willkommen im Fahrenden Ritter, dem Nottransporter für gestrandete Hexen und Zauberer. Strecken Sie einfach die Zauberstabhand aus, steigen Sie ein und wir fahren Sie, wohin sie wollen. Mein Name ist Stan Shunpike, und ich bin für heute Abend ihr Schaffner!" Ich blickte ihn fragend an.
"Wohin ich will?"
"Ja, aber gerade machen wa ne Pause, weil unser Fahrer, der Ern noch n Butterbier trinken wollt."
Ich überlegte, blickte zum Tropfenden Kessel, wieder zurück zum Bus.
"Ok, ich bin gleich wieder zurück! Nicht ohne mich losfahren!"
Und schon rannte ich los. Durch den Pub, durch die Steinmauer und auf nach Gringotts. Dort einige Galleonen in Muggelgeld umgetauscht und schon war ich wieder auf dem Weg zum Bus. Glücklicherweise stand er noch da; ich hätte denen aber auch was erzählt, wenn sie ohne mich gefahren wären!
"Gerade noch rechtzeitig", feixte der Typ in seiner purpurnen Uniform. Kaum dass ich eingestiegen war, düste der Bus auch schon los, mit so einer Wucht, dass ich erst mal einige Sitzreihen bzw. Bettreihen nach hinten flog. Nur mit Mühe konnte ich mich halten.
"Bis wohin willst du denn?", fragte Stan, während er ganz lässig durch den Bus schlenderte.
"ähm... zu Harry Potter?"
Verdutzt glubschte er mich an.
"Biste ein Freund von Harry?"
"äh, ja klar." Er hob eine Augenbraue und musterte mich von oben bis unten.
"Wie heißte denn?" Ob es wohl so klug wäre, jetzt den Namen der Malfoys ins Spiel zu bringen? Eher nicht.
"Erm... Neville Longbottom", murmelte ich.
Sein Gesichtsausdruck verhieß nichts gutes, doch nach einer kurzen Weile grinste er wieder.
"Ach so! Jetzt versteh ich! Das ist euer Passwort!"
Ich hatte zwar keinen Schimmer, was er meinte, nickte aber trotzdem.
"Ok, Ern. Ligusterweg Nr. 4, Little Whinging, Surrey!"
"Kennst du.. alle Adressen deiner Fahrgäste?", fragte ich nervös.
"Ach nee, bloß so was wie den Harry Potter vergisst man nicht!"
Keine 10 Minuten später waren wir auch schon da. Ich übergab Stan die geforderten Sickel und stieg aus.
Ligusterweg 4 also... Ich schaute mich um und fand das gesuchte Haus gleich. Es sah ganz anders aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Richtig schön gepflegt und ordentlich.
Doch plötzlich kamen mir Zweifel. Was sollte ich tun, wenn er mich nicht reinlassen würde??

Tequilla hatte sich in meiner Jackentasche eingerollt und schlief tief und fest. Es war ja auch schon ziemlich spät. Ich durchquerte den Garten und stand etwas ratlos vor der Tür. Sollte ich klopfen, einfach reingehen oder... ach, ja! Da war ja so ein klingel- Knopf! Auf gut Glück drückte ich da einfach mal drauf und wartete ab. Und tatsächlich regte sich etwas. Hinter der Tür wurde es hell und ich hörte das Knacken eines sich öffnenden Schlosses. Zum Vorschein kam ein Junge, der, zwar nur etwas größer als ich, dafür aber ungefähr drei mal so breit war.
Er raunte mir lediglich ein "Hm?" entgegen und glubschte mich gelangweilt an.
"Hallo (bloß schön nett sein!). Bin ich hier richtig bei Potter?.. Harry Potter?"
Die Augen des Jungen weiteten sich unnatürlich und er taumelte einige Schritte zurück.
"MAMAAAA!!", leichenblass und so schnell, wie man es ihm gar nicht zutrauen würde, rannte er den Gang entlang und verschwand in einem der Zimmer. Keine Sekunde später lugte ein anderer Kopf, eben so fleischig und massig, aus dem Zimmer zu mir rüber. Darüber tauchte der Kopf einer Frau auf, knochig und so hässlich wie das eines Pferdes. Hinter ihnen tauchte ein verdattert dreinblickender Harry auf, dessen Unterkiefer bei meinem Anblick wohl auf dem Boden aufgeschlagen wäre.
"D- Draco??? Was machst DU hier?"
Der Mann sprang zwischen uns und fuchtelte mit den Händen.
"Dann ist das einer deiner abnormalen Freunde von dieser Verrückten-Schule???"
Das "Freund ist etwas übertrieben" von Harry ging unter in dem Geschrei der drei. Nachdem er Harry in das Zimmer geschoben hatte, watschelte er auf mich zu. Versuchte böse zu gucken, doch seine Angst war nicht zu übersehen.
"Hier- Hier gibt es keinen Harry Potter!! Also verschwinden sie jetzt wieder!"
Nach einem prüfendem Blick zu Frau und Kind griff ich in meine Jackentasche.
Alle drei schrieen auf und wichen zurück. Mit einem Blick, den ich mir jahrelang bei Vater abgeschaut hatte, zog ich langsam und bedächtig einen der Scheine des Muggelgeldes heraus. Augenblicklich veränderte sich ihre Mine. (Vater wäre stolz auf mich)
"Was... Was wollen sie von uns?", stammelte der Mann.
"Nichts", antwortete ich so unschuldig wie nur möglich und strich mit den Fingern über den Schein.
"Ich habe mir gedacht, ich könnte über Nacht hier bleiben und mit meinem Freund plaudern."
Der Mann beäugte mich, trat dann vorsichtig und skeptisch näher. Nahm mir den Schein ab und ließ mich eintreten, schloss hastig die Tür. Er zog Harry am Hemd in den Flur und schubste ihn in meine Richtung.
"Wehe ihr treibt da oben euren abnormalen Kram!", keifte er, während er Frau und Kind ins Zimmer schob und die Tür zuknallte.
Harry stand leicht verwirrt vor mir. Er trug eine alte, zerrissene und viel zu weite Jeans und darüber ein ebenso weites Hemd. Die dunklen Haare wie immer wild zerzaust und auf der Nase seine Brille.


"Was willst du hier?", brummte er mir zu.
"Warum denn gleich so unfreundlich?"
"Draco!", zischte Harry, "Du bist wohl kaum gekommen, um mit mir Tee zu trinken, also..."
"Ach doch, wäre ganz gut; Ich hab heut noch kaum was gegessen"
Etwas aus der Fassung seufzte Harry, schüttelte den Kopf und ging die Treppe hoch. Ich folgte ihm. Er öffnete eine Tür und ließ mich hinein.
"Warte hier, ich bring dir was."
Ich betrat den Raum. Er war schlicht eingeräumt und hatte nichts zu bieten außer einem Bett und einem winzigen Schrank. Auf einem wackeligen Schreibtisch in der Ecke des Raumes hockte Harrys Eule in einem Käfig. Wie nannte er das Vieh noch mal? Hedwig glaube ich... Ich ließ mich auf das Bett fallen und schloss die Augen. Wäre Harry nicht kurze Zeit später fluchend in den Raum gekommen, wäre ich hier wohl eingeschlafen.
"Hier!" Auf den Boden stellte er ein Tablett mit einer Tasse voll dampfendem Tee und ein paar Keksen.
"Nicht, dass du mich für einen schlechten Gastgeber hältst."
Da mein Magen bereits am knurren war, rutschte ich vom Bett runter neben das Tablett. Aus meiner Jackentasche holte ich Tequilla und rüttelte den kleinen sanft wach. Die paar Kekse teilte ich fair zwischen uns auf.
Harry stand neben dem Käfig an den Tisch gelehnt und beobachtete mich.
"Mein Vater hat Stress gemacht und ich bin von Zuhause weg. Weil ich nicht wusste, wohin, bin ich hierher gekommen", erklärte ich nebenbei.
"Und das soll ich dir glauben?"
Ich zuckte bloß mit den Schultern und knabberte weiter an meinen Keksen.
Harry seufzte, kam zum Bett herüber und setzte sich darauf.
"Na wenigstens hast du mich vor einem Abendessen mit den Dursleys gerettet"
"Wieso? Magst du sie etwa nicht?"
"Sie mögen?", Harry lachte auf, "ich bin heilfroh, wenn ich nächste Woche endlich wieder in den Fuchsbau darf."
"Fuchsbau?"
"Das Haus der Weasleys."
Langes Schweigen. Ich trank meinen Tee fast aus und legte den Becher dann so auf das Tablett, dass Tequilla die Reste daraus trinken konnte.
"Du gehst mit deiner Ratte netter um als mit deinen Freunden", bemerkte er.
"Freunde? Ach, du meinst Crabbe und Goyle?! Hmm... Tequilla ist mein einziger Freund in Hogwarts."
"Soll ich jetzt Mitleid haben?"
"Wie du willst..."
Die Ratte krabbelte meinen Arm hinauf und machte es sich in meiner Halsbeuge bequem.
"Na gut, ich hol dir was, wo du drauf schlafen kannst", sagte Harry, nahm das Tablett und verschwand aus dem Zimmer. Als ich meine Augen wieder öffnete, lag vor mir eine Matratze, Kissen und eine Decke. Harry stand wieder am Tisch und fütterte Hedwig. Ich war zu müde, um noch großartig was zu machen, und so kroch ich auf die Matratze und machte es mir und Tequilla bequem.
Harry hatte sich umgezogen, saß auf dem Bett und beobachtete mich.
"Was ist denn so schlimmes passiert, dass selbst DU es für nötig gehalten hast, von Zuhause zu flüchten?"
"Nichts..."
Harry knipste das Licht aus und legte sich hin.
"Ich beneide dich, Potter", gab ich nach einiger Zeit zu.
"Wieso das denn??? Du bist doch derjenige mit der Riesenvilla und den Verliesen voller Gold!"
"Geld interessiert mich nicht... Mein Vater hat immer viel zu tun und Mutter ist auch immer außer Haus. Ich würde so einiges dafür geben, mal einen Abend mit ihnen verbringen zu können."
"Wir können gerne tauschen", murmelte Harry.
Wenige Minuten später war ich eingeschlafen.

Warme Sonnenstrahlen weckten mich am nächsten Morgen. Ich richtete mich auf, schaute mich um und musste erst einmal überlegen, wo ich hier war. Das Bett neben mir war bereits gemacht und von Harry war keine Spur zu sehen. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich in meinen Anziehsachen geschlafen hatte und diese jetzt total zerknittert waren. Aber das war mir in dem Moment auch egal. Ich stand auf und verließ den Raum. Auf Anhieb hatte ich das Bad gefunden, welches zu meiner Erleichterung genauso funktionierte, wie das in der Welt der Zauberer. Der Geruch von Speck und Eiern stieg mir in die Nase und erinnerten mich daran, dass die Kekse am letzten Abend alles andere als ausreichend waren. Ich schlich die Treppe herunter. Aus dem Raum, in dem sich die Familie gestern Abend verschanzt hatte, drangen Geräusche von einem Radio oder etwas in der Art. In dem Raum gegenüber bemerkte ich einen mehr oder weniger fröhlichen Harry am Herd stehen. Als er mich sah, wies er mir einen Platz zu und schloss die Tür.
"Warum so fröhlich?"
"Nur so", antwortete Harry, "vielleicht, weil ich mit dir zusammen essen sollte und deswegen bei den Dursleys nicht mitzuessen brauchte."
Still aß ich das mir vorgesetzte und musste zugeben, dass es gar nicht mal so schlecht schmeckte. Nach dem Essen setzten wir uns ins Wohnzimmer, da Harry unbedingt die Muggelnachrichten sehen wollte.
Plötzlich klingelte es an der Tür. Diesmal war es die Frau, die öffnete. Kreidebleich kam sie zurück und deutete in den Gang. Ein klein wenig Hoffnung regte sich in mir. Konnte es wirklich wahr sein? War es vielleicht mein Vater, der mich holen kam?
Ein Räuspern drang aus dem Flur und verstärkte meine Hoffnung.
Der Mann stand auf und schritt an uns vorbei in den Flur. Die unverkennbare Stimme meines Vaters ließ mich innerlich grinsen. Der Mann trat ebenso blass wie seine Frau ins Zimmer. Mein Vater folgte.
Er trug einen prächtigen schwarzen Gehrock und hatte seine Haare zurück gebunden. Herablassend schaute er sich in dem verhältnismäßig kleinen Raum um, richtete sich dann an die Familie.
"Ich danke ihnen, dass sie sich um meinen Sohn gekümmert haben. Ich denke, dies wird die Umstände begleichen."
Noch während er sprach, ließ er zwei lupenreine Diamanten auf den Tisch fallen. Der Mann schluckte hörbar.
"A- Aber sicher doch", stotterte er.
Vater richtete sich an Harry, nickte nur kurz, aber dankend, bevor er seinen Blick auf mich richtete.
Er lächelte.
"Komm, Draco, lass uns nach Hause gehen."
Ich dankte noch kurz der Familie, deren Namen ich noch immer nicht kannte, sah dann zu Harry.
"Viel Spaß, bei deinen kleinen Freunden, Potter", feixte ich. Er grinste zurück.
Ich stellte mich neben Vater, spürte seinen Arm auf meiner Schulter und im nächsten Augenblick waren wir disapperiert.

Nur zu gern hätte ich das Gesicht der Muggel gesehen.
Wir waren wieder zu Hause. Vater stand noch immer neben mir, sein Arm ruhte auf meiner Schulter.

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